Wie restauriert man jahrhundertealte Festungsmauern, wenn die Baustelle in einem kilometerlangen schmalen Gang liegt und nur zu Fuß zugänglich ist? In der Erfurter Altstadt fanden Sanierungs-Experten eine Antwort auf diese Frage: Denn wo einst der Feind außerhalb der sogenannten „Horchgänge“ der Festung Petersberg belauscht wurde, war das Mauerwerk zuletzt sichtbar in die Jahre gekommen. Mit behutsamer Handarbeit, passenden Produkten und gänzlich ohne moderne Hilfsmittel konnte nun Abhilfe geschaffen werden. So entstand wieder ein lebendiges Fugenbild, welches das beeindruckende Bauwerk aus regionalen Kalksteinen und vereinzelten Keuber-Sandsteinen harmonisch in die Gegenwart trägt.
Mitten in der Erfurter Altstadt erhebt sich der Petersberg mit der Zitadelle – ein zentraler Ort in der Landeshauptstadt von Thüringen. Bis in die 1960er Jahre wurde die Festung aus dem 17. Jahrhundert militärisch genutzt. So beherbergte sie bis 1806 zunächst das preußische Militär. Mit den napoleonischen Kriegen – genauer der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt – zogen jedoch die französischen Truppen ein. Im Jahr 1815 wurde die Stadt Erfurt und damit auch die Festung wieder preußisch. Über beide Weltkriege hinweg blieb sie von zentraler militärischer Bedeutung. Ab dem Jahr 1990 entstanden schließlich neue Nutzungskonzepte für das Gelände – mit unterschiedlichen Behörden, Wohnungen sowie kulturellen Einrichtungen.
Konzept und bauliche Besonderheiten
Bei der Errichtung der Zitadelle im 17. Jahrhundert wurden die neuen Festungsmauern mit den alten Stadtmauern verbunden. Dabei legten die Erbauer im Fuß dieser Mauern sogenannte Konterminen beziehungsweise Horchgänge an. Zweck dieser Gänge war es zum einen, unbemerkt hinter die Reihen möglicher Belagerer zu gelangen, zum anderen, feindliche Angriffe schnell zu lokalisieren und eine Zerstörung der Grundmauern in diesem Bereich zu verhindern. Die Gänge, die bis zum Mauerfuß der Zitadelle reichen, sind über zwei Kilometer lang. Die senkrechten Kamine, heute verschlossen, dienten zum Signalisieren oder auch als Notausgang für die „horchenden“ Soldaten. Beim Bau der Festung wurden zum Ausmauern der Wände insbesondere Kalksteine aus der Region Erfurt verwendet. Diese sind fest und nehmen nur wenig Wasser auf, ihre Oberflächen sind kantig aber glatt. Jedoch findet man im Mauerwerk auch Keuber-Sandsteine, welche eine geringere Festigkeit und ein hohes Wasseraufnahmevermögen aufweisen. Gerade im Bereich dieser Steine ist die oberflächliche Zerstörung durch bauschädliche Salze heute besonders hoch.
Bei der Errichtung der Konterminen erfolgten Verfugung und Vermauerung mit einem sehr tonhaltigen Kalkmörtel. Solche Mörtel können gut Feuchte aufnehmen und wieder abgeben, aber bei den hier herrschenden Feuchtebelastungen versagten sogar diese. Somit sind viele Ausbrüche von Mörtelfugen in den verschiedenen Bereichen der Gänge zu finden. Die unterschiedlichen Nutzer des historischen Gemäuers hatten schließlich ebenfalls verschiedene Vorgehensweisen zur Instandhaltung der Fugenbereiche. Daher findet man heute unterschiedliche Arten der Vermörtelung und auch viele geschädigte Bereiche im Natursteinmauerwerk der Horchgänge.
Fugen, die sich fügen
Aufgrund der im Jahr 2021 auf dem Festungs-Areal durchgeführten Bundesgartenschau (BUGA) sollten auch die Horchgänge einer größeren Zahl an Besuchern zugänglich gemacht werden. Somit war eine Instandsetzung mittels Fugensanierung des Natursteinmauerwerkes dringend notwendig. Die Firma Denkmalplan aus Körner (Thüringen) bekam daher den Auftrag, Horchgänge mit einer Länge von 200 Metern im Bereich der Vorfestung „Ravelin Anselm“ instand zu setzen. Die Arbeiten waren aufwändig: Loses und mürbes Stein- und Fugenmaterial musste vorher entfernt werden. Verwitterte beziehungsweise salzgeschädigte Exemplare der Keuber-Sandsteine wurden bis auf den gesunden Kern zurückgearbeitet, sehr stark salzbelastete Natursteine komplett ausgetauscht. Die farbliche und mechanisch-physikalische Angleichung des Mörtels zu den vorhandenen Natursteinen wurde schließlich mit einer Bemusterung durchgeführt. Dafür kam „maxit mur 950 HS“-Mörtel zum Einsatz, der sich farbig passend einstellen lässt. Auch ist das Produkt aus dem Hause Maxit mit einem hochsulfatbeständigen Zement als Bindemittel ausgerüstet, sodass Reaktionen mit gipsbelasteten Fugenbereichen ausgeschlossen waren. Mit einem Größtkorn von vier Millimetern konnte bei der Bearbeitung der Oberfläche zudem eine lebendige Fugenstruktur erreicht werden. Hierzu sind die Fugenoberflächen mit einem stumpfen Werkzeug – beispielsweise Holz – abzuziehen. So lässt sich eine Versinterung vermeiden, die andernfalls durch ein zu frühes Abziehen mit einer Stahltraufel entsteht. Bereits im Vorfeld wurden die Fugen so vorbereitet, dass der einzubringende Mörtel eine mittlere Dicke von mindestens zwei Zentimetern aufwies. Gerade in mittelalterlichem Mauerwerk sind jedoch oft besonders große Lücken und Vertiefungen in den Fugenbereichen vorhanden. Diese Fehlstellen wurden mit Gestein und Mörtel gefüllt, man zwickelte die Fehlstellen also aus.
Die Baustelle befand sich in einem schmalen, zwei Kilometer langen Gang und erforderte daher den Verzicht auf Hilfsmittel unserer Zeit. Wie in den vorherigen Jahrhunderten musste das Arbeitsmaterial also durch den Gang getragen und dort per Hand mit Fugeisen und Holzbrett verarbeitet werden. Die händische Bearbeitung der Verfugung zeigt nun deutlich die Handschrift des Verarbeiters und ist dennoch gleichmäßig ästhetisch und homogen.
Gewappnet für neue Aufgaben
Nach der Instandsetzung des Natursteinmauerwerkes in den Erfurter Horchgängen können sich Besucher dort nun auf einen Streifzug in eine längst vergangene Zeit begeben. Und doch ist man froh nach der Tour – durch die Schießscharten über die Zinnen der Festungsmauer – heute auf eine schöne, bunte und friedliche Welt schauen zu können.
Autorin: Dipl-Ing. Heike Pfaff