Eine weltweit einzigartige Anlage eröffnete Thüringens Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) am Montag in Sonneberg. Die vom ortsansässigen HySon-Institut sowie unter anderem vom Kalkhersteller Bergmann (Azendorf) betriebene Pyrolyseanlage ist in der Lage, aus Methan nahezu emissionsfrei Wasserstoff herzustellen. Das Methan wiederum wurde zuvor aus hochreinem CO2 gewonnen, welches aus der Kalkherstellung bei Bergmann gezielt abgeschieden wurde. Mit dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt gelingt der Nachweis, dass der dringend benötigte Rohstoff Kalk künftig mit positivem CO2-Abdruck hergestellt werden kann – und das in einem wirtschaftlich sinnvollen Kontext.
Der natürliche, fossile Rohstoff Kalk begleitet die Menschheit seit Jahrtausenden, wo er – in gebrannter oder ungebrannter Form – etwa als Dünger, Baustoff oder Mörtel genutzt wird. Mit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts entstand in Europa die Kalkindustrie, deren systematische Verwertung von Karbonatgesteinen viele neue Anwendungsgebiete eröffnete. Heute gibt es kaum einen Industriezweig, in dem Kalk oder Kalkprodukte keine Anwendung finden. Fast alle Industriezweige, die Land- und Forstwirtschaft sowie der Umweltschutz sind auf hochwertige Kalkerzeugnisse angewiesen. Eisen- und Stahlveredelung, Glasherstellung, Baustoffproduktion, Straßenbau, Luft- und Gewässerreinhaltung sind nur einige Anwendungsgebiete.
Zu den namhaften Herstellern im Land zählt dabei die familiengeführte Bergmann-maxit Gruppe aus Azendorf (Oberfranken), die derzeit 850 Mitarbeiter an neun Standorten in Deutschland und Tschechien beschäftigt. Um Kalk jedoch herzustellen, muss Kalkstein erhitzt werden, wodurch CO2 entsteht. 67 Prozent davon gilt als unvermeidbar. Das bedeutet: Diese Emissionen lassen sich in der Praxis nicht noch weiter als bisher etwa durch Effizienzsteigerungen, Elektrifizierung oder Brennstoffwechsel verhindern. Wie also geht man damit ökologisch und ökonomisch sinnvoll um?
Von Kohlendioxid, über Methan zu sicherem Wasserstoff
Eine erstaunlich einfach klingende Antwort auf diese Frage präsentierten am Montag das HySon-Institut (Sonneberg) zusammen mit der Bergmann-maxit Gruppe der Öffentlichkeit: Thüringens Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee eröffnete dabei die neue Pyrolyse-Anlage am Standort Sonneberg, die das letzte Teilstück der gesamten Entwicklungskette darstellt. Diese sieht wie folgt aus: Um die rohstoffbedingten CO2-Emissionen am Eintritt in die Atmosphäre zu hindern, müssen sie abgefangen werden. Dies geschieht bei Bergmann Kalk mit Hilfe eines elektrischen betriebenen Versuchs-Kalkofens, in dem das Kohlendioxid in hochreiner Form vom restlichen Abgas separiert wird. In einem zweiten Schritt wird das so gewonnene CO2 mittels zweier Methanisierungs-Reaktoren zu Methan umgesetzt. Es handelt sich zum einen um einen thermokatalytischen Reaktor nach dem Membranreaktorprinzip und zum anderen um einen biokatalytischen Reaktor, der mit Archaeen (Urbakterien) arbeitet – also Mikroorganismen, bei deren Energiestoffwechsel Methan gebildet wird (Methanogenese). Im dritten und letzten Schritt sorgt die neue Anlage in Sonneberg dafür, dass das entstandene Methan mittels Pyrolysereaktor nahezu emissionsfrei zu Kohlen- und Wasserstoff zersetzt werden kann. Die Pyrolyse, auch „Verkohlung“ genannt, stellt einen thermochemischen Umwandlungsprozess dar, bei dem organische Verbindungen wie Methan bei hohen Temperaturen und weitgehendem Ausschluss von Sauerstoff gespalten werden – mit weitaus geringerem Energieeinsatz als bei einer Verbrennung. Auf diese Weise kann im Sinne einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft ursprünglich problematisches CO2 künftig mittels „türkisem Wasserstoff“ umgewandelt werden – und das in einem sinnvollen ökonomischen Kontext.
Entscheidendes Know-how aus Thüringen
Die entscheidenden Impulse für dieses öffentlich geförderte Gemeinschaftsprojekt lieferte das HySON-Institut in Sonneberg als offizielles Zentrum für Fortschritte in Wasserstofftechnologien und Infrastrukturen in Thüringen. Das Institut bildet ein industrienahes Netzwerk und Forschungseinrichtung, bestehend aus der HySON gGmbH und dem HySON Förderverein (e.V.). Es ist die 10. außeruniversitäre Forschungseinrichtung in Thüringen und Teil des Forschungs- und Technologieverbundes Thüringen e.V. (FTVT). „Die neue Pyrolyse-Anlage in Sonneberg ist der letzte technische Schritt, den wir bei der Umwandlung von aus Kalk abgeschiedenem Kohlendioxid, über Methan zu ‚türkisem Wasserstoff‘ vollzogen haben. Der praktische Nutzen für die industrielle Zukunft Deutschlands ist dabei erheblich. Wir sind stolz darauf, dass dieses Projekt maßgeblich auf Fachwissen aus Thüringen aufbaut“, erklärte Institutsdirektor Mario Einax im Rahmen der Eröffnung.
Für die Bergmann-maxit Gruppe, die ebenfalls Teil des HySon-Netzwerkes ist, wird mit dem Projekt der praktische Nachweis erbracht, dass sich Kalk künftig mit positivem CO2-Abdruck herstellen lässt – auch wenn dies beträchtliche Investitionen in Anlagentechnik erfordert. „Zu diesen sind wir bereit. Das Projekt ‚Türkiser Wasserstoff aus grünem Kalk‘ ist ein zentraler und ökonomisch sinnvoller Baustein unserer Nachhaltigkeitsstrategie hin zu einer besonders klimaschonenden Produktion“, erläutert Sebastian Groppweis, Inhaber und Geschäftsführer der Bergmann Gruppe und wissenschaftlicher Beirat des HySON-Instituts